xplore Berlin 2016: Bericht von Malah Helman

 

What’s love got to do with it? – xplore 2016

von Malah Helman

Ich komme mit der Strassenbahn, vorbei an Industriekomplexen, heruntergekommenen Hochhäusern- Marzahn nach 30 Jahren Wende. Linker Hand eine Notunterkunft für Asylsuchende, rechts ein Discounter. Der Mann mit einer Einkaufstüte voller Flaschen weiß von nichts. Eine Familie zeigt in Richtung Bungalow-Siedlung.

Auf dem Festival-Gelände dann ein Schild, ungefähr so: Hallo Gäste, bitte nicht stören, eventuell sind leichtbekleidete Festivalteilnehmer unterwegs. Und da kommt auch schon ein älterer Engel (männlich) in Dessous und Turnschuhen um die Ecke. Es ist gut, wenn die Normalität nicht immer allein bleibt.

Eine ehemalige Kollegin spendiert mir den Eintritt und das ist gut, denn ich bin etwas heruntergekommen. Das Gelände, eine ehemalige Viehbörse zeichnet sich durch viele kleine Gebäude und Holzkonstruktionen aus, wo Kurse zu Fesseln, Küssen, Triezen, Kuscheln, Bodywork, etc. stattfinden.

Da steht ein Love Shed, worin sich zwei Paare befinden, eine jüngere und eine ältere Frau, eine ältere Frau und ein junger Mann. Ich, durchaus Misanthropin, denke, dass Liebe möglicherweise gelernt werden muss und wenn man die Menschen hier in den verschiedensten Konstellationen und Diskursen, auch unverhüllt, sieht, diese wiederum doch liebenswert sind, sehr sogar.

Eine Hängematte weiter kommt ein Raum aus Holz mit Massageliegen. Ein in der Mitte als Baum dekorierter Träger mit Birkenzweigen und Bändern, lässt eine Atmosphäre entstehen, die an die heidnischen Frühlingsriten in „Andrej Rubljow“ erinnert. Hier soll man mit einem Unbekannten oder einer Unbekannten an der Hand eintreten. Massage kann sehr unterschiedlich begriffen werden, sexuell oder auch sportlich oder spirituell. Ein älteres Paar massiert sich so liebevoll, dass ich beinahe ewig zu schauen kann. Eine Frau fängt mich an zu streicheln. Das tut unglaublich gut. "Whats Your name?" frage ich. Sie lacht, es ist zugegeben, eine klassisch-männliche Anmache, die ich als Feministin hier reproduziere und daher auch nicht beantwortet werden muss.

Dahinter Sitzgelegenheiten um Fesselplätze, zwei umschlungene Männer beobachten zwei Frauen, die eine Spaßsession haben. Ein komplexes meditatives Fesseln kann man im „Silent Space“ sehen; eine goldhaarige Frau mit wunderschön kräftigen Hüften verschnürt einen muskulösen Mauren zu einem Paket, sein schwarzer Freund schaut zu. Für einen kurzen Moment denke ich, dass Akzeptanz über Orte gemeinsamer Interessen geht. Musiker in Nachthemden orchestrieren und bringen den Geist zum Fliegen, wie die langen weißen Seidenbahnen, die in der fabrikartigen Halle umherwehen. In mehreren Konstellationen und Gruppen gibt es Sex, andere sind bekleidet und halten sich im Arm, eine Frau küsst mich zärtlich auf die Wange, jemand meditiert, andere tanzen, nicht eingeengt von Kleidung. Da sind Harmonie und Begehren, Entspannung und Erotik, Sinnlichkeit und Askese dicht nebeneinander- in nicht notwendigerweise bacchantisch zu interpretierenden Szenerien, ähnlich denen paradiesischer Landschaftsbilder der Renaissance oder Fetes galantes gleichend- Aufbruch nach Kythera. „Der Anfang aller Kunst ist die Liebe …“, schreibt Hermann Hesse in „Narziß und Goldmund“. Vielleicht ist Lieben auch eine Kunst, lebensnotwendig, aber als Handlungsgrundlage in (exzessiv) geldbasierten Systemen verpönt, weil eigentlich zweckfrei, sich zwischen Eros und Agape, irdischer und himmlischer Liebe bewegend, aber auch integrativ und immer transzendierend Ich fühle mich so wunderbar wie lange nicht mehr: unbeschwert von irdischen Problemzonen, ganz einfach Seiend, mit dem Universum verwoben, geliebt und frei. Vielen Dank explore!- ich werde das auch im Alltag einfordern; Widerstand muss nicht nur Negation sein, sondern auch Lachen und natürlich Liebe öffnen den Weg in eine alternative Welt.